Vermessungsprojekt

Bei gemischtem Wetter und seit Dienstag stürmischen Winden startete die Klasse 11 am Montag in den praktischen Teil ihres Vermessungsprojektes. Begleitet wird es auch in diesem Jahr von Rolf Rosbigalle*.

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Von Fluchtstange zu Fluchtstange: Rolf Rosbigalle arbeitet mit einer Gruppe an der Längenmessung. Verwendet werden Holzlatten wegen der größeren Genauigkeit gegenüber Bandmaßen.

Kamila Siebecke vor malerischer Kulisse: Wöhrdener Kirche + Pferde, was will man mehr?! Aber die Ingenieurin aus Kasachstan, die wegen der Waldorfpädagogik nach Deutschland gekommen ist, hat nur Augen für die Messdaten. Frau Siebecke ist in der Ausbildung zur Waldorflehrerin, Herr Rosbigalle ist ihr Mentor. Sie unterstützt eine Gruppe, die durch Krankheitsausfälle stark gebeutelt ist.

Suchbild: Wo ist der Messtrupp?

Mit dem Theodoliten messen die Schüler*innen die Winkel eines der Dreiecke.

Der Theodolit ist ein hochpräzises Gerät, die Daten sind nicht leicht abzulesen.

Die Messdaten werden in eine Tabelle eingetragen und später für die Berechnungen der Dreiecke im Polygon benötigt.

Alles selbst berechnet! - Rolf Rosbigalle zeigt Ergebnisse.

Jede*r Schüler*in zeichnet eine eigene Karte.

Mit spitzem Bleistift eingetragen: die eingemessenen Polygone (man beachte das Design der Kompassrose!)

Nach einer eingehenden Phase der Gerätekunde und praktischen Übungen mit dem Theodoliten ging es ins Gelände: In diesem Jahr werden die Felder und Wiesen gleich nördlich des Neubaugeländes vermessen. Innerhalb von rund drei Stunden steckten die drei ansonsten unabhängig voneinander arbeitenden Gruppen gemeinsam die Fluchtstangen an Punkten, die ein Polygonnetz (= Vieleck) über das zu vermessende Gebiet legen - ganz so, wie es schon der berühmte Vermesser Carl Friedrich Gauss im 19. Jhdt machte.

Wir suchten nach den jungen Landvermesser°innen am Mittwoch Mittag und fanden zwei der Gruppen in voller Aktion: Bei der Längenmessung entlang der Ausfallstraße Richtung Wesselburen und mitten in den Feldern hinter dem Gartenbaugelände beim Winkelmessen. Am Ende wird jede Gruppe jeden Arbeitsschritt in ihrem Teilgebiet praktisch durchgeführt haben. Dann werden die gemessenen Werte zusammen gelegt, und das ganze Polygon wird detailliert durchgerechnet - denn draußen in der Landschaft werden nur wenige Kardinalpunkte tatsächlich eingemessen. Der Rest findet am Schreibtisch und mit reinster Trigonometrie statt**. Danach werden die eigentlichen Landschaftsmerkmale - Häuser, Wege, Gräben - eingemessen. Zum Schluss zeichnet jede°r Schüler°in eine individuell gestaltete Karte.

"Die jungen Leute sind in diesem Alter an der konkreten Umwelt sehr interessiert  - die reine Ich-Bezogenheit der Pubertät flaut langsam ab", hat Rosbigalle in den Jahrzehnten seiner Tätigkeit immer wieder bemerkt. Seine langjährige Erfahrung untermauert die Impulse der Waldorfpädagogik, die Rudolf Steiner vor 100 Jahren gesetzt hat. Einzig die wenig abwechlungsreiche Marsch hat er zu bemängeln. "Aber mit den Jahren wird sich sicherlich auch an dieser Schule herumsprechen, welcher Segen*** das Vermessungspraktikum für die Entwicklung der jungen Menschen ist", sagt Rosbigalle augenzwinkernd und hofft künftig auf Projektfahrten in andere Regionen.  Denn das Arbeiten und Lernen sei fern vom Alltag sehr viel intensiver, wie sich an anderen Schulen immer wieder erwiesen habe. Und das betrifft nicht nur die Mathematik, sondern auch die sozialen Prozesse. Eines der großen Geschenke sei die Arbeit auf Augenhöhe zwischen den Schüler*innen und den Lehrkräften, was sich nach dem Vermessungspraktikum immer besser etabliere, ergänzt der erfahrene Pädagoge abschließend.

 

* Rolf Rosbigalle begleitet seit rund sieben Jahren unsere Schule in den Fächern Mathematik und Physik der Oberstufe. Seit 41 Jahren ist er in der Waldorfpädagogik tätig und vielerorts in der Lehrerausbildung engagiert. Derzeit fungiert Herr Rosbigalle als Mentor für unsere Kollegen Gerrit van der Toren und Andrea Kipf, die künftig das Vermessungspraktikum bzw. den Physikunterricht der Oberstufe übernehmen werden.

** Kurzer Abriss der Trigonometrie: Jede Fläche lässt sich in Dreiecke aufteilen. Jedes Dreieck definiert sich aus drei Seitenlängen. Wenn drei Größen (aber nicht nur Winkel) bekannt sind, ist das Dreieck mathematisch zu berechnen.

Zur Landvermessung wird ein Netz aus geschickt angeordneten Punkten über die Landschaft gelegt, einige Winkel und Längen davon werden eingemessen. Anschließdend können alle Längen und Winkel berechnet werden.

*** "Primi inter pares" ist das Prinzip dieser Lehrmethode: "Erste unter Gleichen". Die Lehrer°innen treten langsam als Lehrende zurück und begleiten mit ihrem Wissen die Schüler°innen mehr, als dass sie ihnen das Wissen "eintrichtern". Rolf Rosbigalle hat in seiner langen Laufbahn immer wieder festgestellt, dass die jungen Menschen dadurch innerlich maßgeblich reifen und ihnen der Weg in eigenverantwortliches Leben und Arbeiten am Ende der Pubertät leichter gemacht wird. Das Landvermessungspraktikum ist deshalb ein echtes Geschenk an die Heranwachsenden - und alle Menschen, die mit ihnen zu tun haben.