Voneinander, aneinander, miteinander lernen
„Ich danke ihnen, dass sie aus der Asche der Wöhrdener Schule einen Phoenix namens Waldorfschule aufsteigen lassen.“ Mit diesen Worten bedankte sich ein Gast am Ende der Diskussion über den Vortrag „Voneinander, aneinander, miteinander lernen“, zu der Waldorfinitiative Wöhrden in Meldorf eingeladen hatte.
Henning Kullak-Ublick, seit 23 Jahren Waldorflehrer an der Schule in Flensburg referierte über das Lernen und Unterrichten an einer Waldorfschule. Mit einem Rückblick auf seine Klassenlehrerschaft, die jeweils acht Jahre dauerten, zeigte er auf, dass sich die Kinder während eines Durchlaufes verändern können.
Hatte er beim ersten Mal 26 Kinder, die erwartungsvoll auf ihn warteten, ein großes Vertrauen besaßen und den Willen hatten sich zu entwickeln, so war das zweite Mal die Klassenlehrerschaft eine ganz andere. Schon am ersten Tag zeigten sie ihm, dass sie anders seien und er brauchte drei Jahre um die Klassengemeinschaft Schritt für Schritt dorthin zu bringen, wohin er sie haben wollte. Acht Jahre lang musste er sich um jedes einzelne Kind kümmern und es betreuen.
Sein dritter Durchgang begann mit 34 Kindern, die von anderen Kollegen als eigentlich nicht unterrichtbar bezeichnet wurden. Nun hat er viereinhalb Jahre hinter sich und er stellte fest, dass man immer Berge versetzen musste. Seine Chance besteht darin zu bestimmen, wohin der Berg wandert, aber er wandert auf jeden Fall.
Bei seiner Reise in die Entwicklung des Kindes stellte er dar, wie sich das Kind vom Neugeborenen langsam aber stetig entwickelt. Das Gefühl, das Eltern bei der Geburt ihrem Kind entgegen bringen, erahnt das große Potenzial, das in diesem Kind steckt. Bei seiner Entwicklung entdeckt das Kind die Welt, indem es sich mit seinem Leib auseinander setzt und somit immer mehr Eindrücke gewinnt. Alles was das Kind über seine Sinne wahrnimmt, verändert etwas in seinem Körper.
Richtet sich der junge Mensch auf, weil er sieht, dass um ihn herum auch senkrecht gehende Menschen vorhanden sind, hat er schon das Grundgebäude des Lernens errichtet. Dieses Aufrichten ist wie ein Befreiungsschlag. Kinder stoßen sich von der Erde ab und ahmen Erwachsene nach. Es ist eine Urerfahrung des Lernens. Kinder machen es einfach, sie wollen frei werden.
Im zweiten Schritt setzt die Empfindung ein. Die Sprache entwickelt sich, sie plappern nach und bilden Sprechblasen. Plötzlich kommt die Begriffsbildung, woraus sich immer differenzierter die Welt entwickelt. Hier fördert die Muttersprache das Denken.
Der dritte Schritt, das Handeln und Fühlen, grenzt das Kind ab. Durch Tasten erkennt es Grenzen und bringt sich als eigenständiges Wesen ins Bewusstsein. Die Sprache entwickelt das Denken weiter, solange bis das Kind sich selbst denkt und „ich“ sagt.
Dieses Entwicklungstempo, das in der Regel drei Jahre dauert und in den Stufen „gehen – sprechen – denken“ zusammengefasst werden kann, ist die Voraussetzung für die Entwicklung des Kindes. Im Kind hat sich ein Gebäude, ein restloses, uneingeschränktes Vertrauen entwickelt und es nimmt die Welt einfach mit und dadurch verwandelt sie sich in ihm.
Somit erfolgt einmal der Punkt, an dem das Kind zur Schule muss. Hier setzte sich der Referent kritisch mit dem Begriff der Schulreife auseinander, der bei vielen Wissenschaftlern nicht mehr genutzt wird. Aus der Sicht der Waldorfschulen gibt es aber eindeutige Zeichen der Schulreife, wenn nämlich das „Denken – Fühlen – Wollen“ als Einheit in den ersten Jahren erfolgreich abgeschlossen worden ist, modelliert sich der Körper. Bei der Schulreife wandern nun diese Kräfte in die Vorstellung und stehen dem Kind seelisch zur Verfügung.
Berichte aus der Praxis zeigten, das 2/3 der Schüler bestimmte Dinge, die über die Sinnestätigkeit gesteuert wurden, nicht konnten, z.B. rückwärts auf einer Linie gehen (kein Vertrauen) oder rhythmisches Klatschen bzw. Stampfen
Bei seiner Schilderung über die schulischen Inhalte der einzelnen Jahrgangsstufen stellt der Referent immer wieder dar, dass die Verknüpfung von körperlicher und seelischer Seite immer bedacht werden muss, damit das Kind lernen kann. Besitzen die Kinder ein positives Gefühl für das Lernen, so fällt ihnen das Lernen und Behalten leichter. Auch die Person des Lehrers, der nun acht Jahre mit ihnen auskommen muss, spielt eine große Rolle. Jedes wirkliche Lernen funktioniert nur dann, wenn das Kind den Lehrer kennt, sieht was er alles kann und ihm nacheifern will.
Kennzeichnend für den Waldorfunterricht ist die Arbeit in Epochen. Hier haben die Lehrer und Kinder genügend Zeit sich auf ein Thema einzulassen, was sich auch in den Epochenheften der Kinder zeigt. Jeder Jahrgang hat seine Schwerpunkte. Durchgängiges Prinzip ist aber das Erzählen und das Herausbilden von Bildern, womit eine Verknüpfung zum Unterrichtsgegenstand gelingt.
Am Ende der achtjährigen Klassenlehrerzeit steht ein riesiges Theaterstück, bei dem die Kinder von den Requisiten bis zur Textveränderung alles allein machen müssen. Die Jahresarbeit, die einen künstlerischen, einen praktischen Aspekt und einen schriftlichen Teil aufweisen muss sowie ein Vortrag vor der gesamten Schulgemeinde, beenden die Klassenlehrerzeit.
Dieselbe Art der Abschlussarbeit steht am Ende der Schulzeit nochmals an. Nur wird hier ein höheres Anspruchsniveau vorausgesetzt.
In der anschließenden Diskussion ging es um Aufnahme der Quereinsteiger, Fremdsprachenuntericht, Berufsaussichten der Schulabgänger, Leistungsbewertung und Kosten für die Eltern. Die Zahl der Interessenten, die sich in die Liste eintrugen war groß, was ein Zeichen für die Bereitschaft der Eltern war, sich um eine alternative Beschulung Gedanken zu machen.