Was Hänschen lernt ...

Auf Einladung der Waldorfinitiative Wöhrden hielt Ivonne Benkelmann den dritten Vortrag im Rahmen einer Vortragsreihe zum Thema „Was Hänschen lernt ...“ – Vom Kleinkind zum Schulkind.

Wenn das Kind aus seinem schlafenden Zustand langsam erwacht, bemüht es sich um die Sprache. In der so genannte „Babysprache“ bringen Babys Laute hervor, bevor der Stimmapparat ausgebildet ist. Sie durchlaufen das Lallstadium, das Einwortstadium, das Zweiwortstadium und das Stadium des Telegrammstils. Neben dem Spracherwerb beginnen sie zu rollen, zu sitzen, sich hochzuziehen, zu krabbeln und es wachsen die ersten Zähne.

Die Umwelt prägt sie und die kleinen Kinder nehmen wie ein Schwamm alles auf. Hier kritisierte die Referentin die Eltern, die ihre Kinder angeblich sinnvolle Fernsehbeiträge (Teletubbies) zukommen lassen. „Die Kinder haben keine Möglichkeit sich nicht distanzieren und es gelingt ihnen auch nicht das Gesehene innerlich zu verarbeiten“.

Wichtig für die Entwicklung der Kinder ist die Stimmer der Mutter und des Vaters. Diese werden wieder erkannt und bilden im Kind Vertrauen aus. Das erste Fremdeln beginnt mit neun Monaten und ist ein Zeichen für eine gesunde Entwicklung.
Das dritte Lebensjahr bildet den ersten Abschnitt für die weitere Entwicklung. Das Kind will sich von der Welt absetzen, sagt „ich“ und erkennt sich somit in der Welt wieder. Das Ausprobieren des „Ichs“ erkannten viele der anwesenden Mütter wieder, als die Referentin von dem Drama „Mutter und Kind an der Supermarktkasse“ sprach. Mit drei Jahren ist das Kind auch bereit und fähig in den Kindergarten zu gehen. Es begreift sich als ein soziales Wesen und versucht durch erste Kämpfe mit anderen Kindern seinen Stellenwert in der Gruppe zu erkunden.

Wenn das Kind seine Trotzphase überwunden hat, dann bedarf es eines rhythmischen Tagesablaufes um weiter gesund aufwachsen zu können. Im fünften Lebensjahr tritt bei Kindern die Langeweile ein. Diese Langweile verführt die Eltern dazu, das Kind mit Angeboten zu überfordern. Frau Benkelmann forderte die Eltern auf, gelassener zu sein und das Kind sich langweilen zu lassen. So lerne es, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Überangebote seitens der Eltern können zu einer Unselbstständigkeit führen, denn „Mama macht es ja schon“.

Der Körper des Kindes entwickelt sich im fünften Lebensjahr weiter und ist in der Lage, die Eigenschaften nachzubilden, die während der vergangenen Jahre nicht ausgebildet worden sind.
So sollen bestimmte Reflexe, wie der Hang-, Greif- und Laufreflex, des Neugeborenen innerhalb der ersten drei Jahre abgebaut worden sein. Entwicklungsstufen wie rollen, krabbeln sollen durchlaufen sein. Sind sie es nicht, so fehlt dem Körper etwas, was sich später z.B. an der Sitzhaltung in der Schule zeigt. Aus ihrer langjährigen Zeit als Waldorflehrern berichtete die Referentin, dass es immer mehr Kinder gäbe, die mit Entwicklungsproblemen in die Schule kommen. Sie zeigen Sprachverzögerungen und die Sprachentwicklung sei zunehmend gestört.

Aufgrund ihrer Erfahrung sei sie eine erklärte Gegnerin der Früheinschulung mit fünf Jahren, da bei den meisten Kindern die körperliche und sinnliche Entwicklung noch nicht abgeschlossen sei.

Wenn sich das Kind als Schulkind präsentiert, dann ist der Leib ausgebildet, die Gliedmaßen sind länger geworden, der Babyspeck ist und der Zahlwechsel hat eingesetzt.

Für das Schulkind, das nun in einer Waldorfschule eingeschult worden ist, beginnt plötzlich ein neuer Ablauf. Nun wirkt ein Zwang von außen, dem sich das Kind fügen muss. Trotzdem sind die kommenden drei Jahre für das Kind, ruhige Jahre, denn erst nach dem dritten Schuljahr kommt es zum Bruch. Es heißt bei den Waldorflehrern „Das Kind überschreitet den Rubikon“. Sie meinen damit den Eintritt in die Vorpubertät.

Wurden im 1. Schuljahr Märchen erzählt, im 2. Schuljahr Legenden und Fabeln, im 3. Schuljahr die Schöpfungsgeschichte und biblische Geschichten so wird nun im 4. Schuljahr auf die germanischen Sagen, die Edda und die nordische Mythologie zurückgegriffen.

Im 5. Schuljahr ist das Kind vollkommen im Gleichgewicht. Die Kinder wirken harmonisch und sind „richtig schön“. Alte Geschichten und alte Kulturen bilden den Schwerpunkt beim Erzählen.

Das 6. Schuljahr zeigt in der Entwicklung einen plötzlichen Rückschritt. Die Kinder bekommen Angst. Ihnen wird bewusst, dass die Kinderzeit vorbei ist, dass sie aus dem Kinderalter herausgewachsen sind. Parallel dazu verläuft die Geschlechtsreife. Anhand der römischen Gesicht und des römischen Imperiums wird den Kindern die Entwicklung und Änderung von Lebens- und Staatsformen verdeutlicht.

Im 7. Schuljahr erfolgen in der Regel die Ablehnung des Lehrers und die weitere Entdeckung der Welt. Jetzt setzen die Fächer Chemie und Physik ein. Als passendes Thema werden die Zünfte und die Buchdruckerkunst behandelt.

Hat sich im 8. Schuljahr der junge Mensch gefestigt, so wird er mit Biographien von Einzelpersonen vertraut gemacht, deren Lebensweg und Erfahrungen er vielleicht für sich nutzen kann. Die Jahresarbeit und das Klassenspiel sind die Höhepunkte dieses Schuljahres, mit dem die Klassenlehrerzeit endet.

Im Anschluss an diesen Vortrag entwickelte sich eine lebhafte Diskussion, in deren Verlauf die Referentin die Geschichte der Waldorfpädagogik einfließen ließ und ihre eigene Sicht zu aktuellen pädagogischen Themen ausdrückte. Bei der Frage nach der Erklärung des Hauptfaches Eurythmie demonstrierte sie einzelne Figuren und forderte erfolgreich das Publikum auf, mitzumachen.

Sie schloss ihren Vortrag mit dem Hinweis, dass der Vorteil der Waldorfschulen im Zeitfaktor liegt. Die Lehrkräfte haben Zeit. Elemente, die im Kleinkind angelegt wurden, tauchen später auf anderen Ebenen wieder auf. Dadurch besteht die Möglichkeit, aus Krisen zu lernen um die Chance zu nutzen, sich wieder dem Kind zuzuwenden.

Bei der Vorsitzenden Diana Rohde (04839-203) trugen sich nach der Veranstaltung viele interessierte Eltern ein, die eine Einschulung ihrer Kinder oder einem Wechsel in die Waldorfschule erwägen.